Quantcast
Channel: Das Bartender Labor
Viewing all articles
Browse latest Browse all 41

Ahhhhhh.... Nach mir die Ginflut. Ein Gastbeitrag über einen Hype !

$
0
0


Hallo du Weltenbummler, Lebemann / -frau, du Hipster, du Ginkenner und Barnerd, hallo alter Freund, hallo du flüchtige Barbekanntschaft.

Heute möchte ich dir was von mir erzählen, etwas, das keiner wusste:


"Ich Hasse Gin !"


„Wieso? Warum? Das hätte ich nie gedacht!“, „Wie kann man denn Gin hassen? Ausgerechnet du!“ hallt es durch meinen Kopf und durchfährt mich wie ein Blitz...

Es ist etwa 3 Jahre her, da durfte ich in einer szenigen Bar im hippen Schanzenviertel eine Art „Gin-Tonic-Bar“ das erste mal öffnen. Neben meinem doch recht langweiligen BWL-lastigem Studium war dies die Möglichkeit mein langjähriges Hobby und meine privaten Interessen dazu zu nutzen, anderen Menschen Freude zu bereiten und mir die ein oder andere Euromünze dazu zuverdienen.

Über den Zeitraum des Studiums wurden immer mehr Gins verkostet, Freunde stellten eigene her und die dazu passenden Tonics kamen ebenso wie verrückte oder passende Deko in Form von abgefahrenen Gläsern, interessanten Tees oder Früchten und Gemüse.

Ich war an einer Stelle angekommen, in der ich auch dank der tollen Kontakte in dieser Szene immer mehr lernte über Gin und Tonics, über Inhaltsstoffe und Hersteller, über die Geschichte und über die Gäste. Tastings wurden der Grund, warum ich Rechnungswesen nicht immer brillierte....

Ein Wahrer Hype brach aus, auf dem auch „meine kleine Bar“ mitsurfte.

Einige Marken aus Schottland und Deutschland brachten ganze Events in die großen Städte auf der Welt, die Medien überschlugen sich und immer mehr Gäste kannten sich aus: Welcher Gin wird mit welchem Tonic gemixt? Hebt man mit dem Barlöffel den Gin nach aufgießen unter oder serviert man das Tonic direkt separat? Sollte man die Zeste abflämmen oder ist das nur Show? Einige fingen an, sogar das Tonic abzu-„jiggern“.

Jeder hatte eine Meinung und konnte Sie (über-) begründen.

Es war einer dieser ausgelassenen Samstagabende....der Haus-Dj legte wahnsinnige Tunes auf, die Stimmung kochte und es flossen sehr hübsche Drinks aus gefrosteten Gläsern in die Kehlen der Party-hungrigen Hipster und Barnerds, als es mich bei einer Getränkebestellung zweier jungen Männer durchfuhr wie ein Blitz.

ICH HASSE GIN!

Doch was genau war passiert? Spulen wir zurück.

Als ich vor 5 Jahren das erste mal sah, wie ein Barkeeper das zu dem Gin passende Tonic einschenkte, eine Zeste mit bedacht empfahl und mir riet, das nächste Mal doch den Gin mit mehr Vol. zu testen, da war ich wie elektrisiert. Ein spannendes Feld, etwas, was zu Hause am Esstisch oder in  Bars kontrovers diskutiert werden konnte.

Etwas, das auch ich konnte. 5cl Gin auf Eis und mit Tonic der Wahl aufgießen. Fertig. Und es schmeckt immer anders, ob mit dem Gin oder dem Tonic, der Zeste oder dem Eis (ja auch das hat Auswirkungen) oder in dieser Bar oder dem Restaurant, aus dem Glas oder einem anderen, mit oder ohne Gurke mit Rosenblüten oder Paprika..... Ihr seht es geht schon wieder los.......

Kurzum ich war gefangen. Gefangen in einer spannenden Welt aus Alkohol und Kohlensäure. Neue Pflanzen und Gewürze bereicherten nun meine Sichtweise auf Drinks.

Krass.... Nie hätte ich gedacht, dass ganze Universen zwischen einzelnen G&Ts liegen können. Und genauso ging es andern Menschen. Menschen, die in Bars bis dahin nur “Gin&Tonic“ bestellten, anstelle eines Bieres,  die – wie ich nicht wussten – das es bereits Leute gab, die über 270 Gins im Keller hatten.

Und zack - jetzt standen da die Eingangs erwähnten jungen Männer vor mir, zwischen uns diese Mahagoni-Bar, im Rückbuffet ca 60 Gins, im Kühlschrank 6 verschiedene Tonics und eine Etagere voller Leckereien. Um uns herum warteten andere Gäste, beäugten, wie ich arbeite und suchten nach „Ihrem Gin“ im Rückbuffet oder nach „etwas Neuem“ und um dieses Kleinod herum waberte eine Masse aus glücklichen Menschen zu „I got a feeling“ von den Black Eyed Peas.....

Alles hätte so schön sein können, doch anstatt zu bestellen, fachsimpelten die Beiden über die Wahl, kamen nicht zu Potte, meine Versuche eines Vorschlags wurden abgeschmettert mit „Neee, den kennen wir schon!“ , „Nein, man, den habe ich daheim!“ oder noch schlimmer „Der Gin passt aber gar nicht zu dem Tonic!“

Ich war deprimiert. ... stellte Ihnen dann kommentarlos ein Glas Wasser hin und legte die Gin-Tonic-Karte dazu.

Seit diesem Moment, hasse ich Gin-Tonic! Offiziell!

Warum? Nun, zum einem kennt sich der durchschnittliche Hipster genauso gut aus, wie ich vor 2 Jahren, wenn nicht sogar besser. Sollte er sich nicht auskennen, ist Ihm der Spott seiner Clique sicher. Er wird nach haus fahren, sich einlesen in Foren, auf Blogs wie diesem und dann am kommenden Wochenende meine Empfehlungen zunichte machen. Er wird dann der sein, der Ahnung hat, der weis was geht und was hip ist.

Und ich werde Ihm einen Dink bringen, den ich so nie getrunken hätte. Zubereitet ohne jedes Funkeln in den Augen. Er wird Ihn trinken und sich freuen, das er mir was beigebracht hat. Seine Freunde werden Ihn feiern....

Er hat einen Drink, den er geil findet, weil wer anderes meint, das wäre lecker.

Ohne Beratung und ohne Spaß am Entdecken. Er kann gar nicht wissen, wie toll es ist, seinem eigenen Geschmack auf den Grund zu gehen und etwas zu entdecken, weil er in schon ausgetrampelten Pfaden wandert.

Wie immer! Es gilt: Ist es hip , ist es auch schonwieder nervig! Wir erinnern uns an Tamagochis, Furbys, bunte Socken, große Brillen, lange Bärte.... ach nein... das ist Teilweise wieder in, sorry....

 Ich finde es furchtbar, dass man mit niemandem mehr ausgehen kann, ohne dass er sich bei einer Bestellung aufführt wie ein Nerd.

Dieses besserwisserische Klugscheissermodus-Gelaber war doch mein Job, ich wurde gefragt, welchen Gin würdest du denn mit welchem Tonic trinken? Und nun?

Nun sind wir alle Ginthusiasts, kennen mindestens 12 Gins, von denen wir 6 mit dem Passenden Tonics zuhause haben. Auf unserem Einkaufszettel stehen Fentimans, Thomas Henry, Fevertree, und Rosenblätter.

Ich kann also an der Bar kaum noch mit einer Kombination überraschen und wenn ich selbst ausgehe, bestelle ich oft schon aus Trotz einfach „irgendeinen Gin-Tonics ohne Gemüse“.

Wenn überhaupt, denn nun hasse ich Gin-Tonics!

Das stimmt zwar gar nicht, aber das –und das habe ich mir zumindest vorgenommen- sage ich immer, wenn einer wissen will, welcher mein Lieblingsgin ist.

Und ich werde versuchen es überzeugend in die Welt zu posaunen, bis der Gin-Hype vorbei ist. Und nur noch Liebhaber einen Gin-Tonic bestellen, so wie sie Ihn mögen, nicht weil es gerade in ist, oder weil irgendwer sagt: „Das trinkt man aber so!“

Dann kann ich heimlich in der Küche zuhause wieder dieses Funkeln in den Augen haben, wenn ich meinen Cocchi-Vermouth-Cask-finished Gin mit grünem Tee verfeinere und mit ausgemachtem Schwarzwurz-Lakritz-Tonic aufgieße, ihn mit einem dazu extra bereiteten Vanille-Chip mir selbst serviere,  um mit Ihm bewaffnet wieder einen dieser Drink-Blogs zu studieren. Dabei pflege ich meinen Bart mit Öl und schaue über den dicken, schwarzen Rand meiner (Nerd-)Brille hinweg, um zu lesen was es an neuen Gins gibt, welches Tonic bald raus kommt und welche Bar die größte Auswahl hat. 



Kai-Philipp Kretschmann
Betriebswirt, Berater und 

Teilzeit Bartender in der Good old Days - Dance Bar, Hamburg


Viewing all articles
Browse latest Browse all 41